Montag, 8. Oktober 2018
Stille
Ich spreche mit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die in der Ausbildung sind. Die jungen Menschen sprechen über ihre Erfahrungen mit dem Tod. Einer hat einen Freund verloren, der mit dem Motorrad verunglückt ist. Er beschreibt sein letztes Gespräch mit ihm, wenige Minuten vor der Motorradfahrt. Wie er dann von dem Unfall erfahren hat. Wie die Trauerfeier verlief.
Jetzt ist es ganz still in der Gruppe.
„Ich habe schon mal einen Menschen sterben sehen. Und zwar meine Mutter“, sagt eine vielleicht Zwanzigjährige. Auch sie erzählt jetzt, was damals geschehen war. Danach ist es wieder still. Manche verdrücken ein paar Tränen.
„Das war gut, dass wir über das Thema Tod gesprochen haben“, sagt am Schluss einer der angehenden Polizisten zu mir.
„Was war daran gut?“, frage ich.
„Vielleicht die Stille. Mir hat das gut getan. Das war Zeit zum Nachdenken. Und vor allem war gut, dass wir alle gemeinsam geschwiegen haben“, sagt er.
Gemeinsam schweigen, denke ich mir, vielleicht sollten wir das öfter tun.
Und morgen ist ein neuer Tag
Felix Leibrock, Evangelische Redaktion
Dienstag, 9. Oktober 2018
Zuckertüte
Frau Gottwald ist 106 Jahre alt. Als ich ihr zum Geburtstag gratuliere, frage ich sie:
„Erinnern Sie sich noch an den Ersten Weltkrieg?“
„Oh ja!“, sagt sie. Sie erzählt von ihrem ersten Schultag. Noch im Krieg. Sie hatte eine Zuckertüte. Doch was reintun? Es fehlte an allem. Ihre Mutter hatte ein paar Anisplätzchen. Und eine Packung Eier. Die tat sie rein. Die Schulanfängerin war mächtig stolz.
„Aber“, so sagt mir Frau Gottwald, „nach der Einschulung musste ich die Eier wieder abgeben. Die bekam mein ältester Bruder, ein Waldarbeiter. Der musste die Familie ernähren. Der Vater war im Krieg. Deswegen brauchte der Bruder Kraftnahrung.“
Seit mir Frau Gottwald das erzählt hat, denke ich immer an sie, wenn ich im Supermarkt die Tausenden von Eierpackungen sehe.
„Hundert Jahre ist das bald her. Und ich habe auch gute Zeiten erlebt“, sagt Frau Gottwald nachdenklich bei meinem Besuch. Und dann blitzen ihre Augen. „Können wir beten?“, fragt sie.
Sie murmelt Worte, von denen ich nur eins deutlich verstehe: „Danke!“
Und morgen ist ein neuer Tag
Felix Leibrock, Evangelische Redaktion
Mittwoch, 10. Oktober 2018
Die Augen-OP
Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt. Meine Augen sind schlecht. Hornhautverkrümmung. Es gibt nur noch einen Ausweg: Die Transplantation einer neuen Hornhaut.
Ich liege in München in der Augenklinik rechts der Isar und warte auf eine Spenderhornhaut. Endlich ist es soweit. Ich bekomme die OP-Kleidung angelegt, lege mich in ein fahrbares Bett. Beim Rausfahren des Bettes aus dem Zimmer sehe ich einen dunklen Fleck über der Tür. Ich kann nicht erkennen, was es genau ist.
Nach der OP bleiben meine Augen verbunden. Zwei Tage lang. Dann entfernt eine Schwester den Verband. Ob die OP gelungen ist? Oder bin ich jetzt blind?
Ich öffne die Augen, jetzt mit der neuen Hornhaut. Zunächst bin ich geblendet. Dann sehe ich den Fleck über der Tür wieder. Aber es ist kein Fleck mehr. Ganz klar erkenne ich die Konturen. Es ist ein Holzkreuz. Durch das Fenster fällt ein Sonnenstrahl darauf.
Das alles ist schon lange her. Aber ich denke oft daran. Und sage mir dann: Gott sei Dank!
Und morgen ist ein neuer Tag
Felix Leibrock, Evangelische Redaktion
Donnerstag, 11. Oktober 2018
Die Kokosnuss
Ein Affe auf einem Baum wirft eine Kokosnuss auf den Kopf eines Mannes. Der Mann hebt die Nuss auf, trinkt die Milch, isst das Fruchtfleisch und macht sich aus der Schale eine Schüssel.
Die Geschichte stammt vom indischen Priester Antony de Mello. Mir hilft sie, immer wenn mich etwas ärgert. Dann frage ich: Ist das auch so eine Kokosnuss? Kann daraus etwas Gutes entstehen?
Vor kurzem nimmt mir ein Autofahrer die Vorfahrt. Ich muss voll in die Bremsen steigen, komme ins Schleudern. Zu allem Überfluss zeigt mir der Fahrer auch noch eine böse Geste. Ich fahre rechts ran und muss erst mal durchatmen. Da sehe ich das Straßenschild.
„Mensch, hier wohnt doch Herr Steiner“, sage ich mir. Ein alter einsamer Mann. Ich fahre zu ihm. Herr Steiner erzählt mir spannende Geschichten.
„Und hier, das ist ein guter Wein“, sagt er zum Abschied. „Ich trinke keinen Alkohol mehr. Nehmen Sie den bitte mit.“
So fahre ich davon, mit guten Geschichten und einer Flasche Wein. Aus einem negativen Erlebnis mit dem Autofahrer ist etwas Gutes entstanden.
Felix Leibrock, Evangelische Redaktion
Sonntag, 14. Oktober 2018
Wenn die Liebe kommt
„Wir haben uns über das Internet kennengelernt“, sagt das schon etwas ältere Paar beim Traugespräch.
„Heute sind das sehr viele, die sich auf diese Weise kennenlernen“, sage ich.
Die beiden nicken.
„Es ging ganz schnell“, sagt sie und erzählt. Sie haben sich erst mit Whatsapp hin und her geschrieben. Am zweiten Tag ging es schon bis spät in die Nacht.
„Dann hat er geschrieben, ihm sei das zu umständlich. Er komme jetzt vorbeigefahren, wenn ich einverstanden sei“, sagt sie.
„Und, hat er das gemacht?“, frage ich.
„Ja! Alles, wovor ich meine Tochter warne, habe ich selbst nicht beachtet. Ein fremder Mann, der nachts um zwei zu mir aufbricht. Wir haben bis morgens früh geredet. Dann sind wir direkt zur Arbeit.“
Ich merke den beiden an, wie aufregend das alles war.
Später frage ich sie, ob sie schon einen Trauspruch haben.
„Ja“, sagt der Mann und legt mir einen Zettel hin.
Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan, lese ich.
Und morgen ist ein neuer Tag
Felix Leibrock, Evangelische Redaktion